Donnerstag, 27. Oktober 2011

Nacht der Gespenster und Wandeln auf der Toden Pfade


Es welkt das Laub zu bunten Farben; es wird nun immer später hell und zeitiger dunkel. Die Beeren von Rotdorn, Eberesche und Stechpalme leuchten uns mit den letzten roten Äpfeln entgegen. Laufe ich durch meinen Garten, dann sehe ich die letzten Blumen blühen, die der Frost noch nicht verdorren lassen hat, ähnlich wie die späte Liebe zweier Rentner.

Ich mache mir beim Gehen meine Gedanken. Samhain ist die Zeit der Trennung und der Entscheidungen; ich überlege, was von meiner Fülle es wert ist, über den Winter gebracht zu werden. Was wird von alldem, was ich so mühevoll dieses Jahr gehegt und gepflegt habe und fleißig spross, von dem, was ich getüftelt und gebastelt habe, den Winter überstehen? Ich habe nicht für alles Platz, wo werde ich meine Kleinode unterbringen?

Mein Vater sagte zu mir, ich baue vieles zu filigran, der Winter wird mir zeigen, was davon bestand hat. Filigran, von Filia,  kindlich, denke ich. Was soll daran Schlechtes sein, ich möchte Feen und Elfen, Zwerge und Drachen, Nymphen und Dryaden in meinem Garten wohnen lassen. Bisher haben es zumindest grüne Glühwürmchen im Sommer, braun grüne Frösche, rote und braune Kröten, eine grünliche Natter und viele Falter, Schmetterlinge und Spinnen in meinen Garten geschafft. Ab und an legt sich meine Katze auf die neuen Steinbodenplatten des Weges, den ich ja eigens nur für sie gemacht habe. . .

Nachts sehe ich nun den Nebelschwaden zu, wie sie im Mondlicht durchs Grundstück geistern; sie bringen Raureif, dessen Eiskristalle allem Lebendigen dort die Farbe nimmt. Ich erinnere mich gerade an die kurze Blüte der Herbstzeitlosen auf der Wiese, blasslila Kelche, auch der Safrankrokus wird bald blühen. Wer hat eigentlich das Märchen erfunden, die Herbstzeitlose sei die letzte Blume des Jahres? Oder ist mein Garten Persephone geweiht und liegt gar nicht hier, sondern in der Unterwelt?

Nein, auch der Ginko färbt sich gelb und verliert bald seine Blätter. Draußen ist es nur noch ungemütlich und kalt, selbst die Sonne wärmt nicht mehr so richtig. Ein Teil meiner Pflanzen ist mit mir in die Wohnung umgezogen, weil sie und ich diesen Temperaturen draußen nicht gewachsen sind. Wir harren jetzt aus und leisten einander Beistand. Ich rede mit ihnen und die Zitronen erzählen mir vom kommenden Sommer und dass sie dann wieder gelb und reif sind.

Ich wünschte, ich besäße einen großen beheizten Wintergarten, in dem ich die kalten Tage verbringen könnte, wenn alles draußen vor Kälte klirrt und die Schneeflocken sanft oder stürmisch vom Himmel tanzen. Wer schaut da nicht gern vom Schaukelstuhl zu, mit einer Tasse leckerem Kräutertee in der Hand oder vielleicht Erdbeerminze und etwas Nelkenpfeffer oder Rosentee mit selbst geerntetem grünem Tee?

Wenn Persephone in die Unterwelt geht, ob sie dort ihren Garten mitnimmt? Erblüht dieser dann? Vielleicht werde ich dies meine Ahnen  fragen, sollte ich zu Samhain mit ihnen sprechen. Ich fühle mich auch welk und etwas schläfrig, Samhainzeit ist die Zeit zum Ruhen. Aber es ist noch nicht vorbei, noch warten die Pflanzen darauf, im Garten vor der Kälte geschützt und sanft mit Laub, Reisig oder Erde bedeckt zu werden. Dann habe ich Zeit, mich weiter nach innen zu wenden und mich zu fragen, was ich nach meinen erbrachten Abiturprüfungen studieren möchte, zu ergründen, was ich wirklich will. Das habe ich mir fest vorgenommen.

In jedem von uns wachsen im dunklen Halbjahr verstärkt Träume, gemacht aus Sehnsüchten und Ängsten, gesponnen aus den Fantasien unseres Herzens. Ihnen gilt es zu begegnen und dann auch abzuwägen, zu entscheiden, abzurechnen, Rückschau zu halten und dankbar für alle Erfahrungen zu sein, die uns leiten und uns zu dem machen, was wir sind. Wir haben nur uns, wir können nicht jemand anders sein, weil unsere Erfahrungen und unsere Anlagen uns zu dem machen, was wir sind.

Letztlich macht mir Samhain meine eigene Vergänglichkeit immer und immer wieder bewusst. Ich spüre, dass all die zwischenmenschliche Kälte da draußen und die Einsamkeit, die Verbitterung nur aus unerfüllten Sehnsüchten besteht, aus Einbildungen, die unser egozentrisches Ich aufbaut, um sich und seine Entscheidungen rechtfertigen. Vor vielen Jahren habe ich gelernt, dass wir vor dem Tod alle gleich sind, wir alle müssen welken, wir alle müssen vergehen, niemand ist es wert, verschont zu bleiben, der Glückliche genauso wie der Unglückliche, der Hartherzige genauso wie der Gesellige. Es gibt keinen Preis für Leiden, für persönliches Unglück, für Verbitterung.

Deshalb ist es sinnvoll, gerade jetzt, ja ich meine JETZT, zu reflektieren, die Dinge zu tun, die für uns wichtig sind, Wunden zu öffnen und zu heilen, die uns hartherzig und eingebildet werden lassen, so dass wir unser Gegenüber nicht mehr wahrnehmen können. Das ist unangenehm, aber dahinter liegt Friede, Glück und Weisheit.

Nehmt eure Masken ab, denn nur dahinter seid ihr wirklich ihr selbst! Und dort seid ihr einfach wundervoll, natürlich und liebenswert. Was hat das alles mit meinem Garten zu tun? Ihr Lieben, dort bin ich frei, dort bin ich Kind und dort darf ich sein. Das macht mich glücklich!

Falk Samhain 2011

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